Der Fuchs und der Storch Gevatter Fuchs, der Knauser, scheute nicht Die Kosten, Nachbar Storch ein Gastmahl zu spendieren. Das Mahl war karg: als einziges Gericht Ließ klare Brühe unser Schelm servieren Und diese gar in einem flachen Teller. Der Storch mit seinem langen Schnabel sticht Umsonst hinein, doch schleckte um so schneller Der Fuchs mit breitem Maul das Ganze auf. Um sich zu revanchieren, Bat kurze Zeit darauf Der Storch den Fuchs, bei ihm nun zu soupieren. Der sprach: „Ich komme gern, Zu speisen bei so liebem Herrn." Er eilte zur gegebnen Zeit Zur Storchenwohnung, pries die Liebenswürdigkeit Des Freundes, labte sich entzückt Am Duft des Fleisches, das zerstückt Und fein gekocht - so ganz, wie er's am liebsten mag, Zunächst noch abseits lag. Er war mit gutem Appetit beglückt, Der Füchsen selten fehlen soll. Doch ach, wie war das jammervoll: Man trug das Mahl in einer engen Flasche auf! Die Mündung war nicht weiter als ein Büchsenlauf. Der Storchenschnabel tauchte leicht hinein ins Glas, Des Gastes Schnauze aber brauchte andres Maß. Mit leerem Magen zog der Herr nach Haus, Mit eingekniffnem Schwanz und schlappen Ohren; Er sah beschämter als ein Füchslein aus, Dem keck ein Huhn den Pelz geschoren. Merkt's euch, Betrüger all auf Erden: Auch ihr sollt so betrogen werden! Jean de la Fontaine (1621-1695) |